Smarte Gebäudeverkabelung (Theorie)

1 | Einleitung

Unter dem Begriff des „Smart Home“ haben sich in den vergangenen Jahren im Neubau von Ein- und Mehrfamilienhäusern Technologien durchgesetzt, die es zuvor vornehmlich für gewerbliche Anwendungen gab, nämlich eine strukturierte Steuerung von gebäudeinternen Geräten. Die Technologien und Produkte werden zunehmend als smart bzw. ‚intelligent‘ beworben. Das wesentliche Konzept dabei ist das Zusammenführen von Aktoren und Sensoren, um verschiedenen Bereiche eines Gebäudes automatisch bzw. gemeinsam agieren zu lassen. Dadurch lassen sich regelbasierte Automatisierungen festlegen. Vorteile ergeben sich dadurch in den Bereichen rund um Energieverbrauchsoptimierung, Sicherheit und Komfort.

1.1 Allgemeine Anwendungsszenarien

Das war jetzt sehr theoretisch. Was kann man denn aber jetzt konkret mit so einer Verkabelung tun? Hier einige Beispiele:

  • Heizung anhand von Innen- und Außenthermostaten, Präsenzsensoren und Uhrzeit/Jahreszeit steuern.
  • Rolläden mit Zeitschaltuhren und Lichtsensoren bei stark einfallendem Licht automatisieren
  • Dachfenstermotoren ansteuern
  • Lampen individuell steuern, gruppieren, dimmen
  • Lichtszenen (Farbe & Helligkeit aller Lampen in einem Raum) speichern und durchschalten
  • Automatische der Lampen an die Tageslichttemperatur anhand aktuellem Sonnenstand bzw. Lichteinfall durch Fenster
  • Stromverbrauch auf Smartphone analysieren
  • Fernzugriff/-automatisierung/-diagnose, IP-Überwachungskameras
  • Multiroomaudio

1.2 Interessante Studio-Anwendungsszenarien

Und für uns konkret im Bereich Tonstudiobereich ergeben sich Möglichkeiten wie diese:

  • Runterregeln der Klimaanlage und Frischluftzufuhr auf geräuschärmste Stufe im aktiven Tonaufnahmebetrieb (beispielweise automatisierbar bei aktiver Aufnahme in der DAW am Computer oder per Hardware-Schalter am Regie-Arbeitsplatz)
  • Durchschalten verschiedener vorprogrammierter Lichtszenen im Aufnahmeraum per Smartphone
  • Motorisierte Verschattung bei direktem Lichteinfall im Aufnahmeraum
  • Ventilatoren für Frischluftzufuhr regulieren anhand Temperatur, Luftqualität (Luftfeuchte- und CO²-Sensor), Personenanwesendheit, etc.

Insbesondere letzteres ist eine interessante Anwendung, da wir die Frischluftversorgung als DIY-Lösungen bauen werden und eine zentrale Steuerung dieser eh notwendig wird.

2 | Lösungsspektrum

Es gibt eine Flut an Lösungen ganz unterschiedlicher Art. Die mir persönlich bekanntesten waren bislang drahtlose Smart Home Produkte von IKEA und Philips in Verbindung mit Amazon Alexa oder Google Home. Tatsächlich sind diese jedoch nur ein kleiner Teil an möglichen Lösungen. Prinzipiell gibt es zwei verschiedene Arten: Einerseits die erwähnten Lösungen wie z.B. Philips Hue, welche für Renovierung und Integration in bestehende Baubestände geeignet sind – also für den Otto-Normalverbraucher. Für Neubauten gibt es jedoch auch Lösungen in Form von kabelgebundenen Festinstallationen. Tatsächlich sogar herstellerübergreifende Standards.

2.1 Drahtlose „Insellösungen“

Philips Hue, IKEA TRÅDFRI, Osram Lightify/SMART+ sind Lösungen, welche prinzipbedingt viele Beschränkungen haben und immer nur partiell angewendet werden können. Sie unterscheidet sich daher vom Funktionsumfang deutlich von einer allgemeinen Lösung. Nur spezielle Geräte lassen sich in dieses Ökosystem einpflegen. Oft pflegen Hersteller nur ihre eigenen Produkte und die damit verbundene Technologie. Daher ist man auch auf diesen einen Hersteller angewiesen was Produktpalette, Vielfalt, Preis und Support betrifft.

Beispiel für drahtlose Smart Home Lösungen: Philips Hue

Ein Beispiel für solche Beschränkungen: Integriert man eine smarte LED-Birnen von einem dieser Hersteller in sein Zuhause müssen die physikalischen Lichtschalter immer angeschaltet bleiben. Schaltet beispielweise der unwissende Besuch einmal versehentlich diesen aus, erreicht man die Birne über das System nicht mehr, weil sie faktisch ohne Strom ist.

Da diese Geräte zwangsläufig im WLAN sind, sind diese auch von eben diesem abhängig. Die Bauteile fallen mit dem Ausfall des WLAN-Netzwerks (z.B. Routerneustart) zwar nicht zwangsläufig mit aus, da sie autark ein pralleles drahtloses Subnetzwerk aufspannen, aber beispielsweise gibt es veränderliche Faktoren, welche Funkverbindungen instabil machen können, z.B. dicke Wände, Luftzusammensetzung, Temperatur, viele parallel drahtlose Netzwerke überlagert oder Türen/Möbel. Somit können sich zwei Geräte auch mal temporär gar nicht erreichen. Wenn man im dunklen Flur steht und wie wild den Lichtschalter drückt und nichts passiert, würde man in dem Moment eine direkte Verdrahtung vermutlich zu schätzen wissen.

In Bestandsbauten haben diese Lösungen allerdings ihre Daseinsberechtigung. Den wenigsten Mieter wird es wohl erlaubt sein neue Leitungen in den Wänden zu verlegen. Außerdem gibt es spezielle historische oder hochwertige Wandaufbauten und -materialien wie Stuck oder Marmor, welche eine Verlegung gar nicht zulassen. Häufig fehlt auch einfach notwendiger Platz für Installationsebenen an Decken oder Wänden. Außerdem kann es auch gar nicht gewünscht sein alles zu vernetzen, sondern es sollen lediglich zwei Stehlampen o.ä. sein.

2.2 Analogie zur Audiowelt

Ich finde die Untauglichkeit von Drahtloslösungen kann man gut mit folgendem Vergleich aus dem Audiobereich nachvollziehen:

Seit Jahren existieren digitale Funkstandards und kabellose Technologien zur Übertragung von Audio wie bspw. Bluetooth. Spätestens seit dem iPhone 7 mit dem Wegfall der Klinkenbuchse ist dies für viele Anwender Standard. Obwohl es Erweiterungen und Weiterentwicklungen wie aptX gibt, weiß jeder, der sich etwas damit auseinandersetzt, dass drahtlose Audioübertragung für professionelle und statische Audioanwendungen technologisch und qualitativ im höchsten Maße ungeeignet ist. Allein die zwanghafte Digitalwandlung vorab macht sie mehr oder weniger unbrauchbar in Tonstudios. Zumindest in Tonstudios mit aktuell gebräuchlichem Workflow.

Der Ausnahmefall wäre natürlich, wenn man Preamps und Wandler im Aufnahmeraum unterbringt, sie fernsteuert und ab der Drahtlosübertragung rein digital weiterarbeitet oder damit leben kann das Signal erneut DA/AD zu wandeln, falls man doch nochmal durch analoge Effekte in der Regie möchte. Da könnte jedoch wegen der vielen Wandlungen ein hohes delay auf einen zukommen.

Unabhängig ob analog oder digital: In Tonstudios wird auch heute noch durchweg kabelgebunden übertragen. Und zwar aus Gründen der Signalqualität, Ausfallsicherheit, Komplexität, Kosten, etc. Aus ziemlich ähnlichen Gründen würde man ein kabelgebundenes Smart Home System bevorzugen.

2.3 Kabelgebundene Systeme

Es gibt verschiedene kabelgebundene Systeme und Standards. Prinzipbedingt sind diese meist nur in Neubauten sinnvoll. Einige davon sind hierarchisch strukturierbar bzw. parallel oder ineinander integrierbar, z.B. KNX und DALI. Diese möchten wir im nächsten Abschnitt genauer betrachten.

3 | KNX

Der prominenteste Vertreter eines kabelgebundenen Smart Home Systems ist vermutlich KNX. KNX ist ein vom Prinzip her offener Standard, d.h. es gibt viele Hersteller, die dafür produzieren. Daher ist es deutlich umfangreicher, universeller, stabiler, flexibler, potenziell langlebiger und vor allen Dingen erheblich günstiger als Konkurrenzprodukte, welche von einem einzigen Hersteller entwickelt und vertrieben werden.

Aufbau

KNX-Geräte werden über ein Bussystem verbunden. Dieses ist prinzipiell dezentral und kann sternförmig, baumförmig, seriell, nur nicht kreisförmig aufgebaut werden. Das Bussystem ist paketorientiert strukturiert. Nachrichten werden in Form von Telegrammen versendet. Die Verbindungen auf dem Bus sind mittels einfacher typischerweise grünen 2,5mm Kupfer-Elektroleitungen realisiert. Ein gewöhnliches KNX-Kabel hat 5 Adern. Für den Installationsbus wird nur ein Adernpaar benötigt (rot und schwarz). Über diese werden die 24V Busspannung und die Datentelegramme übertragen. Das zweite Adernpaar (gelb und weiß) dient als Reserve oder zu Sonderzwecken.

Typisches grünes KNX-Kabel mit seinen 5 Adern

Diese KNX-Busleitungen können separat neben dreiadrigen NYM-Elektroleitungen (die ganz normalen grauen Stromkabel) installiert werden. Tatsächlich auch direkt parallel daneben ohne Abstand. Wegen des nicht notwendigen Abstands können sie auch integriert bzw. kombiniert mit den NYM-Leitungen in Form von fünfadrigen Hybridkabeln verlegt werden.

Kleine Systeme, wie in unserem Fall die Versorgung einer 100qm Fläche, sind die kleinsten Anwendungsszenarien für KNX. Die Eigenschaft der Dezentralität wird hier nicht ausgespielt. Wir benötigen einige Systemgeräte, um die Infrastruktur bereitzustellen und das System zu verwalten. Diese bringen wir im Hausanschlussraum unter. Und zwar direkt im Verteilerschrank für die Elektrik. Dieser muss also entsprechend größer gewählt werden als ohne Smart Home System. Einzelne KNX-Bauteile dieser Art sind in genormter Größe zur Installation auf Hut-Schienen konzipiert, z.B. Dimmeraktoren. Größere Geräte zur komplexen Vernetzung mit erweiterter Logik, (bspw. ein Gira Home Server), sind extern unterzubringen, z.B. in einem dedizierten Serverschrank – ist für unseren Funktionsbedarf aber weit überzogen.

Beispiel eines KNX-Geräts zur Montage auf einer Hutschiene im Verteilerschrank des Hauses

Systemintegration

Alle KNX-fähigen Geräte werden durch ein KNX-Kabel an das KNX-Busnetzwerk angeschlossen. Nachdem sie angeschlossen wurden müssen die Geräte „programmiert“ werden.

Kommentar vom Informatiker in mir: Auch wenn es im allgemeinen als „Programmieren“ bezeichnet wird, handelt es sich vielmehr um ein „Konfigurieren“, da lediglich Betriebsparameter eingestellt werden.

Dabei wird jedem Gerät eine (physikalische) Adresse im System zugewiesen. Dies geschieht über die von der KNX Association zur Verfügung gestellten ETS Software über einen Computer und einem dedizierten Interface (z.B. mittels USB). Die Software gibt es mit drei möglichen Lizenzen. Die kostenlose ETS Version beherrscht bis zu 5 KNX Geräte. Die Lite Version bis zu 20 Geräte und kostet 200€. Die unbeschränkte Vollversion kostet 1000€.

Aber auch nicht-KNX-fähige Geräte sind verwendbar. Es gibt für nahezu alle Geräte wie bspw. Split-Klimaanlagen oder LED-Leuchten, die KNX nicht nativ unterstützen, Interfaces und Gateways, um auch diese ins System zu integrieren. Bereits vorhandene Geräte lassen sich also auch nachträglich integrieren. Voraussetzung dafür ist jedoch das Verlegen von Busleitungen an alle Orte, wo man später ein solches Gerät betreiben bzw. steuern will. Dies sollte also überlegt geplant werden. Besonders in Fällen wie unserm, bei dem späteres Verlegen kaum mehr möglich sein wird.

Natürlich können Lampen auch weiterhin über Lichtschalter an den Wänden ein- und ausgeschaltet werden. Diese Lichtschalter müssen jedoch auch Aktoren im KNX-Netz sein. Und technisch gesehen sind diese auch keine Schalter mehr, sondern Taster. Funktionieren tun sie aber genauso wie herkömmliche Lichtschalter. Da man aber über KNX deutlich mehr als nur Licht ein/aus steuern kann, gibt es oft ganze Schaltzentralen in Form von kleinen Wandpanels, die nicht selten auch Displays haben oder Touchscreens sind und neben der Beleuchtungssteuerung auch Heizung, Belüftung, Verschattung, Dachfensteraktoren, usw. steuern können.

Beispiel einer zentralen Steuerungseinheit: Busch-SmartTouch

 

4 | DALI & DMX

Ist ein Standardprotokoll zur Lichtsteuerung. Es kann zusätzlich in einem KNX-Netzwerk aufgebaut werden. Gateways sind notwendig, um die entsprechenden Komponenten einander anzubinden.

Es existieren neben DALI noch viele andere Standards wie z.B. DMX oder ZigBee. DALI kommt historisch aus der business-Bürobeleuchtung, wohingegen DMX vor allem Musikern bereits als Technologie zur Beleuchtung im Bühnen- und Livebereich bekannt sein wird und dort massive Anwendung findet und somit den Quasi-Standard definiert. Es gibt gute Gründe DALI oder DMX vorzuziehen sind. Es gibt hartnäckige Befürworter beider Seiten. Wie so oft ist dies fast eine Glaubensfrage. DMX ist sehr reaktionsschnell, erlaubt sehr flüssige Farbübergänge und es gibt ein breites Produktspektrum, welches zudem verhältnismäßig günstig ist. DALI unterstützt erst seit etwa 2015 mit dem Device Type 8 auch Farbübergänge, hängt technologisch also etwas hinterher, lässt sich aber kombiniert mit NYM-Leitungen installieren, wohingegen DMX eigene Datenkabel sowie eine spezielle Busstruktur braucht. Im Zweifelsfall entscheiden die Leuchten, die man verwenden möchte, darüber welches Protokoll man neben KNX für die Belechtung verwenden möchte.

5 | Fazit & Status Quo

Auch, wenn man vielleicht noch nicht genau weiß ob und wofür man das System später einmal nutzen möchte, sollte man heutzutage auf jeden Fall die notwendige Infrastruktur dafür herstellen und besagte Kabel an verdächtige Stellen verlegen, sodass man auf diese bei Bedarf zurückgreifen kann. Da es sich um einfache Kabel handelt stellen sie kein allzu großen Kostenpunkt dar und man hält sich alle Optionen offen.

Aktuell befassen wir uns noch mit verschiedenen Systemen und Produkten und stellen für das Studio ein konkretes System zusammen. Sobald dies terminiert ist und einen präsentationsfähigen Status erreicht hat werden wir die Ergebnisse in einem gesonderten Blogpost zeigen und ausführlich und konkret – vor allem etwas praxisorientierter – erläutern.

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